DAS PROJEKT

BLUTBILD.BLUT.BILD, entstanden im Rahmen des eop-Projektes Radikal Neues, ist ein interdisziplinäres Ausstellungsprojekt konzipiert von der bildenden Künstlerin Isabel Czerwenka-Wenkstetten und dem Immunologen Günther Lametschwandtner. Dabei werden hochaktuelle Fragen von Sichtbarkeit und Sichtbarmachung, von Datenmessung und Abbildung, von Interpretation und rechtlichem Kontext an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft aufgespannt. Eine Wanderausstellung mit integrierten Diskussionsrunden – einmal in einem Kunstraum und einmal in einem wissenschaftlichen Raum.

 

Das Projekt bietet die Möglichkeit, über eine Schärfung des Blicks auf das Gesundheitswesen und eigene Lebensessenzen hinaus das Potential des gegenwärtigen Trends von interdisziplinärer Arbeit zwischen Kunst und Wissenschaft an Hand eines allgemein bedeutenden Themas produktiv zu nutzen.

 

Zur Zielsetzung:

 

Im Gegensatz zu vereinfachenden populärwissenschaftlichen Ausstellungen soll dieses Projekt die Auseinandersetzung mit radikal neuen Aspekten der Medizin und Biologie in einer der Thematik angemessenen Komplexität ermöglichen.

Die Betrachtenden werden dabei weder mit einer simplen Take-Home Message versorgt, noch wird der vergebliche Versuch unternommen, eine große Menge an fachspezifischen naturwissenschaftlichen Fakten zu vermitteln.

Als radikal andere Zugangsweise wird ein künstlerisches Experiment gewählt, um die komplexe Mehrdimensionalität der Thematik und deren zugrundeliegende Verflechtung naturwissenschaftlicher und gesellschaftlicher Praktiken mit den Möglichkeiten der Kunst transparenter und bewusster zu machen. Über die räumliche Dreidimensionalität hinaus wird auch die vierte, zeitliche Dimension

einbezogen mit thematischen Gesprächen in gewissen Abständen.

 

Zur Ausgangslage:

 

In der Vergangenheit haben zwei neuartige Entwicklungen in der Biomedizin weit über den eigentlichen Diskursraum der Naturwissenschaft hinausgegriffen: Einerseits die Klonierung von bereits erwachsenen Säugetieren (Stichwort "Klonschaf Dolly") und andrerseits die Bestimmung der Basensequenz des vollständigen humanen Genoms. Während letzteres eine naturwissenschaftlich beschreibbare materielle Realität von Individualität generierte, hebelte ersteres grundlegende intuitive Annahmen über die Individualität aus, und traf daher sofort auf entschiedene Ablehnung, die sich rasch in gesetzlichen Verboten des Klonens von menschlichen Individuen verdichtete.

Im Gegensatz dazu wurde die von verschiedener Seite als plakative These aufgestellte Vorhersage "in Zukunft wird jeder Mensch die Sequenz seines eigenen Genoms auf einer CD ausgehändigt bekommen" weitgehend als wenig problematische "Science Fiction" akzeptiert.

 

Der wissenschaftliche Diskurs im Bereich der molekularen Medizin hat aber zurecht darauf hingewiesen, dass es sich hier größtenteils um scheinbares Wissen handelt, denn auch wenn man davon sprach, dass das Genom "entschlüsselt" worden sei, wurde es im Endeffekt nur "gelesen", aber eben nicht in Bezug auf seine biologischen Konsequenzen wirklich prädiktiv verstanden. Die molekulare Medizin hat sich demgegenüber intensiv mit der Überbrückung dieser Bruchlinie beschäftigt. Dabei wurde unter anderem das Konzept des sogenannten "Biomarkers" entwickelt.

Als Biomarker bezeichnet man eine messbare biologische Größe, für die es einen theoretisch begründbaren Bezug zu einem Krankheitsgeschehen gibt und die eine gewisse statistisch fundierte Vorhersage in Bezug auf dieses Krankheitsgeschehen liefern kann. Ein sozusagen traditioneller Biomarker (der an sich nicht als solcher bezeichnet wird) ist das sogenannte Blutbild, das ursprünglich tatsächlich das im Mikroskop betrachtete Bild einer entsprechend aufbereiteten Blutprobe eines Menschen (Patienten) war. Inzwischen werden "Blutbilder" durchwegs automatisiert mit speziellen Geräten erstellt.

 

Der Bezug zur molekularen Medizin und der Erkenntnisse der Genomforschung wird nun unter anderem in der Entwicklung der FACS-Technologie augenfällig, die in gewisser Weise eine Synthese eines Blutbildes und eines Expressions-Status verschiedener Gene im Immunsystem darstellt. Die Gesamtheit der ermittelten Messwerte wird als Verteilung von Einzelpunkten dargestellt, denn im Endeffekt ermittelt das FACS-Gerät nur Messwerte verschiedener Fluoreszenz-Parameter die softwaremäßig grafisch dargestellt werden. Immunologen sind mit diesen Bildern in ihrem Alltag häufig konfrontiert und entwickeln eine Form visueller und intuitiver Bildverarbeitung: der darauf spezialisierte Wissenschaftler "sieht" und "fühlt" verschiedene Facetten des „Blutbilds“.

Von daher lag es nahe, in die sich ergebenden Fragestellungen Bezugspunkte und Betrachtungsweisen außerhalb des engeren naturwissenschaftlichen Rahmens einzubeziehen - nämlich solche der Kunst.

 

Zur Gestaltung und dem künstlerischen Prozess:

 

Als Ergebnis eines intensiven Austauschprozesses zu diesen Aspekten kamen Isabel Czerwenka-Wenkstetten und Günther Lametschwandtner überein, an den Start des geplanten Projekts eine installative Situation zu setzen, in der beide Welten/Materialien verbunden werden können:

Die Künstlerin Isabel Czerwenka-Wenkstetten sowie der Wissenschaftler Günther Lametschwandtner spenden eine kleine Menge Blut im medizinisch üblichen Rahmen (weniger als 20ml). Diese wird vom Wissenschaftler entsprechend prozessiert und eine FACS-Analyse wird durchgeführt. Das Ergebnis der FACS-Analyse wird einerseits vom Wissenschaftler in der üblichen fachspezifischen Form grafisch und inhaltlich aufbereitet, andererseits kann die Künstlerin ihre eigenen bevorzugten materiellen Techniken für die Herstellung scheinbar gleichartiger Bilder durch künstlerische Tätigkeit anwenden.

 

Zur Umsetzung:

 

Das Ausstellungsprojekt:

• Visualisierung von Zusammenhänge zwischen zwei unterschiedlichen Herangehensweisen, der Art, wie die bildende Künstlerin an Blut herangeht und es visualisiert sowie der Herangehensweise und Visualisierung des Wissenschaftlers. Beide gehen von Blutabnahmen aus. 

• Bauen eines Raumes, ein Setting zu einer  "interaktiven" Situation.

• Ermöglichung der Erfahrung des Verschiebens von Fokus und Wahrnehmungsraum und einen Wandel zwischen Aufbau und Auflösung von Grenzen und Zusammenhängen. Aus dem Kontext gerissenes Informationsmaterial wird zu poetischen Eindrücken verdichtet und eine Idee von der Komplexität der Fragestellungen und Interpretationsanteile in scheinbar objektiven (Mess-)Verfahren der Lebenswissenschaften vermittelt.

 

Der diskursive Part:

In der Ausstellung ist eine Sitzgruppe für Diskussionsrunden fix integriert. In diesen werden die Anregungen aus den Installationen aufgegriffen und mit folgenden Fragestellungen weiter geführt:

• Was bedeutet die "Ästhetik der Übertragung" von wissenschaftlichen Daten in ein künstlerisches Projekt, der Akt einer anderen Benutzung von wissenschaftlichen Daten und deren Verarbeitung als Kunstwerk?

- Was heißt es, die wissenschaftliche (und politische) Frage des Dateneigentums nicht nur diskursiv zu thematisieren, sondern künstlerisch zu beantworten in einer Arbeit, die das Problem aus ihrer Materialität heraus ergreift?

• Wem "gehören" die individuellen Daten? Dem Patienten, dem (ver)messen(d)en Wissenschaftler, der ihn finanzierenden medizinischen Institution, der Allgemeinheit, die die medizinische Institution finanziert, dem wissenschaftlichen Verlag in dem diese Daten publiziert werden?

 

Das Projekt richtet sich an:

 

• Kunstinteressierte, die sich auf Neues einlassen möchten, vor allem auf Arbeiten aus dem Kunstbereich, die technologische und naturwissenschaftliche Fragestellungen integrieren – also BioArt, Hybrid Arts usw.,

aber auch das wissenschaftliche Feld, das zunehmend bereit ist, sich interdisziplinären Ansätzen zu öffnen.

• und darüber hinaus an die Allgemeinheit. Die rasante Entwicklung der modernen Medizin wird ja fast jeden Einzelnen von uns als „Patienten“ mit den Fragen von Blut und Blutbild, von dem, was gemessen wird und dem, was daraus gelesen werden kann, wiederholt konfrontieren.